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Warum Barrierefreiheit kein Plugin oder Design-Feature ist

Warum Barrierefreiheit kein Plugin oder Design-Feature ist und was es wirklich bedeutet

Warum Barrierefreiheit kein Plugin oder Design-Feature ist

Barrierefreiheit im Web ist mehr als ein gutes Gefühl oder ein modischer Zusatz. Sie ist ein Grundrecht, ein Qualitätsmerkmal und in vielen Fällen auch eine rechtliche Verpflichtung. Doch während immer mehr Unternehmen und Institutionen das Thema auf dem Schirm haben, herrscht oft ein grundlegendes Missverständnis: Barrierefreiheit ist kein Button, den man nachträglich einbaut. Sie ist keine optische Spielerei und auch kein Plugin, das alles "repariert". Im Gegenteil: Echte Barrierefreiheit beginnt tief im Code. Mit Struktur, Semantik und Verantwortung.

Was viele für Barrierefreiheit halten

Auf vielen Webseiten finden sich sogenannte „Accessibility-Features“: ein Button zur Kontrastumstellung, eine Schriftgrößen-Anpassung oder gar ein Vorlese-Plugin. Klingt gut, bringt aber oft wenig.

Denn diese Maßnahmen sind kosmetisch. Sie greifen auf der Oberfläche, schaffen manchmal sogar neue Probleme und lösen das eigentliche Ziel nicht: Zugänglichkeit für alle, unabhängig von Einschränkungen oder Technik.

Was Barrierefreiheit wirklich bedeutet

Barrierefreiheit (auch a11y genannt) meint: Webseiten sollen für alle Menschen zugänglich und nutzbar sein, egal ob sie sehen, hören, klicken, tippen oder sprechen können.

Hier die zentralen Grundlagen, auf die es wirklich ankommt:

1. Tastaturbedienbarkeit

Menschen mit motorischen Einschränkungen oder Screenreadern nutzen keine Maus. Daher muss jede Funktion wie: Menü, Slider, Formulare, Buttons, vollständig über die Tastatur erreichbar und bedienbar sein.

Das bedeutet: sinnvolle Tab-Reihenfolge, sichtbarer Fokus und keine "Maus-only"-Funktionen.

2. Screenreader-Kompatibilität

Blinde und sehbehinderte Menschen nutzen Screenreader, die den Inhalt der Website vorlesen. Damit das funktioniert, braucht es korrekt strukturierten Code: Überschriftenhierarchie, beschriftete Formulare, semantisch sinnvolle HTML-Elemente (z. B. button, nicht div mit Click-Events).

3. Klare Struktur & Semantik

Barrierefreiheit heißt auch: Inhalte so aufzubauen, dass sie logisch gegliedert und verständlich sind, auch ohne Design. Eine saubere Überschriftenstruktur (H1–H6), Listen, Landmarken (main, nav, footer) helfen nicht nur Menschen mit Hilfstechnologie, sondern auch der Suchmaschine.

4. Lesbarkeit & Kontrast

Barrierefreiheit ist auch visuell wichtig – aber nicht allein. Guter Farbkontrast (mind. 4,5:1) sorgt dafür, dass Text auch bei eingeschränktem Sehvermögen lesbar bleibt. Doch Farben dürfen nicht die einzige Informationsquelle sein („rot = Fehler“ reicht nicht).

5. Alternative Inhalte

Bilder brauchen sinnvolle alt-Texte. Formulare brauchen Labels. Videos brauchen Untertitel oder Transkripte. Alles, was du sehen oder hören kannst, braucht ein Äquivalent, wenn jemand es nicht sehen oder hören kann.

Warum Plugins das nicht lösen können

Es gibt zahlreiche Plugins, die behaupten, Webseiten barrierefrei zu machen, eben per Knopfdruck. Doch das ist Augenwischerei. Kein Plugin kann die Struktur deiner Seite verstehen, die Semantik rekonstruieren oder deine Inhalte sinnvoll umsetzen.

Barrierefreiheit ist kein nachträglicher Effekt, sondern muss von Anfang an mitgedacht und sauber im Code verankert sein.

Was ist mit Ally-Panels?

Tools wie Ally oder ähnliche Barrierefreiheits-Widgets bieten Funktionen wie:

  • Schriftgrößen anpassen
  • Kontraste umschalten
  • Textmarker aktivieren

Das klingt erstmal gut, ist aber kein Ersatz für barrierefreien Code. Denn wenn ein Menü nicht mit der Tastatur bedienbar ist, wird es das auch nicht durch das Panel. Und wenn ein Formularfeld kein beschriftetes Label hat, hilft auch kein Schalter für „leichter lesen“.

Kurz gesagt: Diese Tools können unterstützen, aber sie lösen keine strukturellen Probleme.

Die rechtliche Seite

Die EU-Richtlinie und nationale Gesetze (wie die BITV 2.0 in Deutschland) verlangen, dass Barrierefreiheit ohne Benutzeraktion gewährleistet ist.

Heißt: Es reicht nicht, wenn Kontraste oder Bedienbarkeit erst nach Aktivierung eines Panels funktionieren.

Was zählt, ist der „Normalzustand“ der Seite. So, wie sie beim ersten Laden erscheint.

Für wen ist das wichtig?

  • Für Schulen & Bildungseinrichtungen: gesetzlich vorgeschrieben
  • Für öffentliche Stellen: durch EU-Richtlinien verpflichtend
  • Für Unternehmen: ab Juni 2025 gesetzlich verpflichtend, wenn sie mehr als 10 Mitarbeiter oder über 2 Mio. € Jahresumsatz haben (gemäß Barrierefreiheitsstärkungsgesetz)

Barrierefreiheit bedeutet nicht, nur „gesetzeskonform“ zu sein. Sie heißt: alle mitdenken, niemanden ausschließen, Vertrauen schaffen. Digital wie menschlich.

Fazit: Moderne Technik ist kein Freifahrtschein

Barrierefreiheit entsteht nicht durch den Einsatz aktueller Tools, sondern durch ein bewusstes, technisches und nutzerzentriertes Arbeiten.

Wenn du dich auf dein CMS oder dein Theme verlässt, ohne zu prüfen, was tatsächlich passiert, kann das zur trügerischen Falle werden.

Was man tun sollte:

  • Die eigene Website sollte von einer fachkundigen Person geprüft werden, die sich mit technischer Barrierefreiheit auskennt, nicht nur mit optischen Aspekten.
  • Begriffe wie „accessible-ready“ oder ähnliche Labels ersetzen keine eigenen Tests, z. B. mit Tastatur oder Screenreader.
  • Barrierefreiheit sollte idealerweise bereits in der Planung berücksichtigt werden, das spart später Aufwand und kann helfen, rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden.

Wenn Sie wissen wollen, ob Ihre Seite barrierefrei ist oder es werden kann, dann melden Sie sich. Wir helfen Ihnen dabei, die Technik so umzusetzen, dass sie für alle funktioniert.